Es war der am härtesten umkämpfte Punkt: Soll der Ausbau digitaler Infrastruktur im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen oder nicht? Ein gutes Jahr lang lag die Ampelregierung deshalb über Kreuz, um sich letztlich auf einen Kompromiss zu einigen: Die Regelung soll zwar für den Mobilfunk gelten – aber nicht für Glasfaserleitungen, sofern naturschutzrechtliche Belange eine Rolle spielen. Gerade der Naturschutz war etwa dem Umweltministerium besonders wichtig.
Mit dem sogenannten Telekommunikations-Netzausbau-Beschleunigungsgesetzes (TK-Nabeg) will die Regierung das Tempo beim Ausbau moderner Netze erhöhen. Es soll unter anderem Genehmigungsverfahren verkürzen, Bürokratie abbauen und insgesamt dazu führen, dass das ganze Land möglichst bald flächendeckend mit zeitgemäßer Infrastruktur versorgt ist.
Der so lange hinter den Kulissen erstrittene Kompromiss wirkt aus heutiger Perspektive fast wie vergeudete Liebesmüh. Inzwischen liegt der Gesetzentwurf im Bundestag, wo sich gestern die in den Digitalausschuss geladenen Sachverständigen im Großen und Ganzen einig waren: Nicht nur der Mobilfunk, nein, der gesamte Infrastrukturausbau sollte im überragenden öffentlichen Interesse stehen. Jetzt also doch?
Keine pauschale Vorfahrt für Infrastruktur
Die Sorge, dass mit dieser Einstufung der Naturschutz unter die Räder gerät, habe eher damit zu tun, dass es „viel Misstrauen im Land“ gebe, sagte Bernd Holznagel von der Universität Münster bei der Anhörung. Denn selbst dann müssten Behörden wie Landesämter, die über bestimmte Leitungstrassen entscheiden, weiterhin das Wohl von Flora und Fauna im Genehmigungsprozess berücksichtigen – nur eben gleichberechtigt mit dem Netzausbau, der nicht automatisch Vorrang erhielte, so Holznagel. Bei ihrer Abwägung könnten Behörden dann künftig im Zweifel für den Bau einer neuen Glasfaserleitung entscheiden und somit das gesamte Verfahren drastisch beschleunigen.
Ohnehin seien die Belastungen für die Natur gering und nur kurzfristig gegeben, sagte Sven Knapp vom Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko). Mit modernen und mindertiefen Verlegeverfahren ließen sie sich auf ein Minimum reduzieren, und, einmal verlegt, dürfte es sich selbst bei Beschädigungen im Vergleich zu Strom- oder Gasleitungen „um die ungefährlichsten Leitungen aller Art handeln“, so Knapp. Zudem gehe es nicht nur um Naturschutzgebiete, sondern etwa auch um den Ausbau entlang von Straßen: „Darf ich im Grünstreifen verlegen oder gehe ich in den Straßenkörper?“ sei eine Frage aus der Praxis, die derzeit für Konflikte zwischen Straßen- und Umweltschutzämtern sorge, sagte Knapp.
Die faktische Bevorzugung des Mobilfunks im aktuellen Gesetzentwurf sei hinsichtlich des rechtlichen Grundsatzes der Technologieneutralität „problematisch“, warnte Jürgen Kühling von der Universität Regensburg. Grundsätzlich sei dies zwar nicht untersagt, müsse aber wohl begründet sein. Den Grund dafür könne er indes nicht erkennen. „Ich rege an, auf diese Differenzierung zu verzichten“, sagte Kühling. Auch sei die vorgesehene Befristung bis zum Jahr 2030 nicht nachvollziehbar, stattdessen sollte die Einordnung als überragendes öffentliches Interesse an den Stand des Ausbaus geknüpft werden.
Abflachende Ausbaudynamik
Dies allein werde den Ausbau jedoch nicht beschleunigen, warnte Ralph Sonnenschein vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Zuletzt habe es „exorbitante Preissteigerungen“ im Bauwesen gegeben, zudem fehle es an Fachkräften. Auch habe der Bund jüngst angekündigt, die Gigabitförderung drastisch zusammenzustreichen. „Aus den Landkreisen hören wir, dass sich die Ausbaudynamik teils stark verlangsamt hat“, sagte Sonnenschein. An dieser Entwicklung würden auch wegerechtliche Maßnahmen, Fristverkürzungen und dergleichen kaum etwas ändern.
Aus Sicht der Wettbewerber der Telekom Deutschland könnte eine rasche Lösung des sogenannten „strategischen Überbaus“ durch die Marktführerin zumindest mehr Rechtssicherheit für die Branche schaffen. Im Auftrag des Digitalministeriums untersucht die Bundesnetzagentur das Phänomen. Außer einem Zwischenbericht hat sie seit dem Frühjahr allerdings nichts mehr nachgelegt. Zwar beobachte die eigens eingerichtete Monitoringstelle weiterhin die Lage und nehme zunehmend spärlicher eintreffende Hinweise entgegen; der derzeitige Rechtsrahmen setze der Regulierungsbehörde jedoch Grenzen, sagte deren Chef Klaus Müller.
Auch die anstehende Migration der Kupfer- auf Glasfasernetze beschäftige die Behörde schon seit geraumer Zeit; es sei auch beständig Thema im Gigabitforum. Sollte sich in diesem Branchenforum, wie sich bereits abzeichnet, keine Lösung finden lassen, werde man gemeinsam mit dem Digitalministerium in den kommenden Monaten das weitere Vorgehen prüfen, kündigte Müller an. Das komplexe Thema sei jedoch „nicht für Schnellschüsse geeignet“, dämpfte Müller die Erwartungen.
Mehr Verbraucherschutz gefordert
Susanne Blohm vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnte vor einer vorschnellen „Zwangsmigration“, dazu gehe der Glasfaserausbau zu langsam voran. Felix Flosbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen machte zudem auf Versuche des unlauteren Wettbewerbs aufmerksam. So würden manche Kund:innen bereits jetzt von Haustür-Verterter:innen in die Irre geführt, die mit einer – noch gar nicht stattfindenden – Abschaltung des Kupfernetzes hausieren gehen würden. „So schafft man keine informierten Verträge“, sagte Flosbach.
Zugleich müssten die mit dem TK-Nabeg geplanten Verbesserungen beim Verbraucherschutz stärker ausgeweitet werden. So bestehen zwar seit der letzten größeren Novelle des Telekommunikationsgesetzes Hebel wie ein Minderungs- und ein Sonderkündigungsrecht. Dies würden die Anbieter jedoch immer wieder unterlaufen, indem sie etwa die Minderungshöhe unterschiedlich berechneten, sagte Blohm.
Statt eines prozentualen Abschlags bei den monatlichen Kosten sollten im Falle einer Nichterbringung des Vertrags eine feste Entschädigungssumme eingeführt werden, forderte die Verbraucherschützerin. Damit fiele die „unterschiedliche und intransparente Berechnung und Festsetzung“ der Minderungshöhe weg. Angemessen wäre eine monatliche Entschädigungssumme von 15 Euro, wenn die vertraglich zugesicherte Bandbreite nicht geliefert werde, so Blohm.
Im September hatte bereits der Bundesrat den Gesetzentwurf behandelt. Auch die Länderkammer drängt auf eine einheitliche Regelung des „überragendenden öffentlichen Interesses“ – ohne die Anbieter von der Rücksichtnahme auf Umwelt und Natur zu entbinden. Es könnte nun also schneller gehen als bisher, stellte die Vorsitzende des Digitalausschusses, Tabea Rößner (Grüne), in Aussicht: Das Beschleunigungspaket soll nun „möglichst zügig“ weiter verhandelt werden.
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